WORK-LIFE-CHALLENGE: SYSTEMAUSBRUCH

Lieber eine Lücke im Lebenslauf, als eine im System. Wieso es Sinn macht einfach mal nicht zu arbeiten und was man darüber von den Mexikanern lernen kann …

Eine Festanstellung ist vergleichbar mit einer Zweckehe. Es läuft gut, solange man die Situation nicht hinterfragt. Doch irgendwann kommen sie: Zweifel, kritische Selbstanalysen, Sinnfragen und die 9 to 5 Depression. Es fühlt sich zwar sicher, aber trotzdem falsch an, jeden Tag den selbe Strecke zu fahren. Rushhour, Menschenmassen und immer wieder die Frage, wieso Mütter und ihre Kinderwagen ausgerechnet zur Hauptverkehrszeit unterwegs sein müssen. Als wäre der Bus nicht voll genug. In meinem Kopf regnet es in so einer Szene, die Fenster sind beschlagen, man kann sich nicht festhalten und nur hoffen, dass der Busfahrer nicht in jeder Kurve seinen Frust auszulassen versucht. Und während man dann inmitten einer pöbelnden und nassgeregneten Gruppe Arbeitnehmer von der Gravitation und dem aggressiven Busfahrer umhergewirbelt wird, dann kann ich ihn sogar verstehen. Er hasst die immer gleiche Strecke genau so wie ich.

Müssen wir uns in das Ameisensystem eingliedern und jeden Tag arbeiten?

Sind wir Menschen wirklich dafür gemacht? Müssen wir uns in das Ameisensystem eingliedern und jeden Tag arbeiten? Uns jeden Tag um die selbe Uhrzeit am selben Ort mit den selben Menschen einfinden und die selben Arbeitsabläufe verrichten? Ist das der Sinn unserer Existenz? 

Meine Lieblingsfrage, wenn ich Menschen kennenlerne, lautet: „Was meinst du, ist das Universum ein guter oder ein böser Ort?“ Aus der Antwort kann man nämlich direkt ableiten, mit wem man es zutun hat. Lautet die Antwort „Das Universum ist ein böser Ort“, dann glaubt die Person womöglich an einen Mangelzustand, daran dass es nicht genug für alle gibt, man Angst haben muss zu kurz zu kommen und schlussendlich für seinen eigenen Seelenfrieden ackern muss, bis an sein Lebensende.

Ich glaube das Universum ist ein guter Ort, das Paradies auf Erden, an dem wir im Überfluss leben können und wo es theoretisch für alle genug zum Leben gibt. Aber was bedeutet das, genug zum Leben zu haben? Für die einen heißt es viel Geld zu haben, ein schönes Haus zu bauen, eine Familie zu gründen und Bioqualität einkaufen zu können. Dass unter diesen Ansprüchen die eigenen Lebenszeit leidet ist zweitrangig. Menschen arbeiten so lange sie können, in der Hoffnung irgendwann genug zu haben, um sich irgendwann zur Ruhe zu setzen. Doch dann ist die Systemgehirnwäsche schon so tief in ihre Synapsen eingesickert, dass sie sich im Alter plötzlich ungebraucht fühlen, keine Ruhe finden, an einer Blutkreislauferkrankung sterben und auf dem Totenbett ihren Enkelkindern zuraunen, dass sie ihr Leben frei gestalten sollen.

Das Digital Nomaden Leben ist nicht nur ein Trend zum braun werden

Eine immer größer werdende Gruppe von Menschen hat es geschafft aus diesem System auszubrechen. Das Digitalen Nomaden Leben ist nicht nur ein Trend zum braun werden, sondern auch wirtschaftlich rentabel, zukunftsvisionär und ein Gewinn für den überlasteten Wohnungsmarkt angesagter Großstädte. Denn Menschen auf Reisen brauchen keinen festen Wohnsitz. Sie leben wie es ihnen passt, mit wenig Anhaftung, kaum Hab und Gut, aber dafür mit viel Freiheit und einem kompletten Planeten zum austoben. Internet sei Dank! Ohne das unsichtbare Datennetz und den Austausch mit Menschen auf der ganzen Welt wäre dieses neue Arbeiten wohl kaum möglich.

Mein Plan war ursprünglich genau das: Arbeiten und Reisen. Als digitaler Nomade Texte schreiben, soziale Netzwerke betreuen und Inhalte für Kunden erschaffen. In meiner Vorstellung klang das so schön, doch die Realität in Mexiko sah anders aus. Denn bei 36 Grad im Schatten ist man genau so wenig motiviert zu Arbeiten, wie bei den winterlichen Temperaturen meiner Heimatstadt. Also tat ich folgendes: nichts. Ich liess mich einfach treiben, im seichten Strom genussvoller Planlosigkeit. Zwischen Karibik und Tacos war kein Platz für Karriere. Zum Glück, denn nur so hatte ich die Möglichkeit mich komplett an das mexikanische Lebensgefühl anzupassen. 

Nichts ist beständig

Vorausschauendes Denken, Planen, Bewerten und das Analysieren von Arbeitsschritten sind Abläufe, die man hier nicht braucht. Wobei, man könnte sie bestimmt sehr gut gebrauchen, aber diese Denkweise widerspricht (überspitzt gesagt) dem Naturell der Mexikaner. Wenn beispielsweise der Besitzer einer Bar beschließen würde einen Kellner wegen guter Arbeit am Abend mit einem besseren Trinkgeld zu belohnen, würde dieser am nächsten Tag mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur Arbeit erscheinen. Entweder, weil er sein ganzes Geld versoffen hat und im Koma liegt oder er das Geld nicht braucht, da er ja am Vortag genug verdient hat. Daher bleibt es bei einer geregelten Bezahlung. Geld wird nicht gespart oder angelegt, es wird benutzt. Wenn man eh nicht weiß was morgen ist, wozu dann Geld für morgen aufheben? Diese Grundeinstellung ist faszinierend und das komplette Gegenteil von allem, was man in Deutschland eingetrichtert bekommt. Man muss sparen, einen festen Job haben, möglichst lange das selbe machen und befördert werden bis der Arzt kommt. 

In Mexiko hingegen ist es üblich sein täglich Brot mit unterschiedlichen Jobs zu verdienen. Man geht Kellnern, vermietet sein Haus über Airbnb, produziert alternative Produkte a la artesanal, ist Uber-Fahrer, Küchenhilfe, Touristenführer, Handwerker, Taco-Stand-Besitzer oder eben Drogendealer. Nichts ist beständig. Es gibt keine Daueraufträge, langfristige Verträge oder Abonnements. Weil morgen alles anders sein kann. Und meistens ist es das auch. Von dieser Spontanität und der damit verbundenen Belastbarkeit können die Deutschen eine Menge lernen. Ich will damit nicht sagen, dass wir jetzt alle Tugenden, unsere Effizienz und die komplette Arbeitsmoral in Frage stellen und die Mexikaner als Vorbild nehmen sollen. Aber in gewissen Punkten ist es einfach gesünder für Körper, Geist und Seele, wenn man das alles nicht ganz so verbissen sieht. 

Die Menschen sind glücklicher

Trotz Armut, Ungerechtigkeit und Korruption behaupte ich, die Menschen in Mexiko sind glücklicher. Das spürt man vor allem dann, wenn man nach langer Zeit wieder am Flughafen in Deutschland ankommt. Verspätete Flieger, verlorene Koffer, kreischende Kinder – egal warum, es wird sich tierisch aufgeregt und die Laune ist im Keller. Gestresste Gesichter soweit das Auge reicht. Während man am anderen Ende der Welt konstant angegrinst wird, egal ob mit oder ohne Zähne im Mund, wird man hier zu Lande für verrückt erklärt, wenn man gute Laune hat. Man kann nur spekulieren warum die Mexikaner besser drauf sind als wir: es könnte am Wetter liegen, der Musik, der Sprache, dem Temperament oder den Tacos – aber wahrscheinlich liegt es an der inneren Einstellung. Die Gewissheit, dass es immer weiter geht, egal was passiert, macht stark, unabhängig und frei von Ängsten, die uns nur blockieren. Man lernt hier Gelassenheit den Dingen gegenüber, die man selbst nicht ändern kann und nimmt es mit Humor, wenn mal wieder etwas nicht klappt. So ist das Leben: Man weiß nicht was passiert, man weiß nur, dass immer was passiert. Und das allein ist doch schon Grund genug für gute Laune. 



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