INTERVIEW: SCHWERELOSLASSEN

Die Seele baumeln lassen, sich Hals über Kopf verlieben und dabei noch Muskeln aufbauen? Was klingt wie ein Märchen, heißt „Flying Pilates“ und ist eine Sportart. Die Hamburger Erfindung stammt von Studiobesitzerin Sonja, die mir einen kleinen Einblick in ihre Gründungsgeschichte gewährt…

Saskia: Liebe Sonja, erzähl doch mal deine Geschichte vom fliegenden Wechsel! 

Sonja: Also, ich bin Hamburgerin und habe ursprünglich mal BWL studiert und im Marketing für Modeunternehmen gearbeitet. Während dieser Zeit habe ich schon nebenbei immer als Trainerin gearbeitet und diverse Ausbildungen dazu absolviert. Immer wieder kamen Leute zu mir mit den üblichen Wehwehchen, wie Schulter- oder Rückenschmerzen. Mich hat es fasziniert wie man so etwas mit Sport und pointierter Bewegung in den Griff bekommen kann. Immer öfter habe ich also Bootcamp-Kurse unterrichtet, damals noch „FitFight-Geschichten“ und ähnliche Power Einheiten. Das hat super viel Spaß gemacht, war mir persönlich in der Vorstellung das hauptberuflich zu machen viel zu intensiv. Mich bei jedem Kurs den ich gebe bis an mein Limit auspowern? Undenkbar. Für mich kamen also nur Yoga oder Pilates in Frage, wobei auch relativ schnell klar wurde, dass ich nicht allzu sehr Yoga-affin bin. Ich liebe die Bewegungsabläufe, aber alles was in Richtung Mantra-Singen abdriftet passt nicht zu mir und dem Power-Hintergrund, den ich seitens der Sportlichkeit mitbringe. Pilates ist für mich genau die perfekte Kombination aus beidem. Es ist mir eh schleierhaft, wieso Pilates nicht so richtig den Hype erlebt hat wie Yoga zu der Zeit. Dabei sind die Bewegungen relativ ähnlich, wobei im Pilates die Kräftigung und Beweglichkeit im Vordergrund steht. Bestimmt sind die Leute immer abgeschreckt von den typischen Pilates-Geräten.

Saskia: Wie kamst du darauf statt Geräten die Tücher zu benutzen und eine fliegende Version des Pilates zu erfinden?

Sonja: Eine Freundin von mir kam aus den Staaten zurück und hatte so ein Tuch für ihre Yoga Praxis dabei. Das „Aerial Yoga“ war dort so langsam am Kommen und als ich das erste Mal damit in Berührung kam, war ich sofort fasziniert davon. Auch beim Training damit dachte ich an Pilates-Abläufen und war direkt begeistert, wie gut sich das Tuch mit den Übungen ergänzt und sogar die Effektivität noch verstärkt. Das war im Jahr 2012. Da gab es noch kein Pilates im Tuch. Ich hab recherchiert wie verrückt, doch keine Informationen dazu gefunden. Mir war aber sofort klar, dass es genau das ist was ich machen will. Also habe ich mir so ein Tuch organisiert, bei meinen Eltern auf der Terrasse befestigt, meine Bücher rausgeholt und selber ausprobiert was man vom herkömmlichen Pilates auf das Tuch übertragen kann. So habe ich angefangen die ersten Übungen selber zu entwickeln und nebenbei eine Sportart neu zu erfinden.

Saskia: Du hast es also geschafft Bewegung aus einer neuen Perspektive zu sehen. Wie ging es dann weiter?

Sonja: Zunächst steckte ich ja noch in meinem festen Job, war in meinem Sicherheitsdenken gefangen und dachte mir, ich fange lieber klein und langsam an, mache das nur nebenbei, ohne eigenes Studio. Ich hatte aber schon einen Fotografen kontaktiert, eine Webseite erstellt, das Konzept und die Übungen parat und war bereit loszulegen. Im Nachhinein fühlt es sich so an, als wäre alles eine glückliche Fügung gewesen, denn die nächsten Schritte haben sich alle von alleine ergeben. Durch Zufall habe ich meinen ersten Raum im Karoviertel gefunden, war relativ schüchtern auf den Vermieter zugegangen und meinte eben, dass die Decke stabil sein sollte, da ich für meine Kurse Tücher aufhängen muss. Er reagierte so ernst, was mich verunsichert hat, und sagte relativ verwirrt, dass es ja gut passen wurde, da der Vormieter sogar Stahlträger hat einbauen lassen, weil er auch irgendwelche hängenden Entspannungsübungen praktiziert habe. Jackpot, dachte ich! So viel zum Thema Schicksalsfügung. Das nächste war dann, dass ich auf Grund einer betriebsbedingten Umstrukturierung eh gekündigt wurde. Mir war mehr als klar, dass ich mich kein zweites Mal in die Mühle schmeißen würde, obwohl ich im ersten Moment schon geschockt war.

Saskia: Wie hast du es geschafft Leute für die neue Sportart zu begeistern? Konntest du dann auf dein Netzwerk von anderen Trainings die du gegeben hast zurück greifen?

Sonja: Ich habe bei Null angefangen. Dadurch, dass ich vorher nur in Studios im Raum Barmbek und Poppenbüttel aktiv und mein neues Studio im Karoviertel war, musste ich neue Wege gehen. Kontakt mit Magazinen, ich bin nämlich meine eigene PR-Abteilung, hat geholfen Aufmerksamkeit zu generieren. Aber die ersten zwei, drei Jahre waren nicht wirklich lukrativ. Glücklicherweise war mein Job vorher relativ gut bezahlt, sodass ich ein finanzielles Polster hatte, um meinen Traum zu erfüllen. Ich musste dieses Polster komplett investieren.

Saskia: Das klingt ganz klar nach „Flying Freedom“. Es hat sich also gelohnt?

Sonja: Absolut. Nach all der Zeit fühlt es sich immer noch nicht nach Arbeit an und ich bin jeden Tag dankbar, dass ich es machen kann. Ich merke so langsam nur, dass der ganze administrative Aufwand der dazu kommt immer größer wird. Am Anfang war ich halt nur die Trainerin. Mittlerweile nimmt der Papierkram und die Organisation für das eigene Studio fast Überhand und man merkt wie aus dem Baby Projekt „Flying Pilates“ ein Unternehmen wird. Es ist ein bisschen wie bei einem Kind, das langsam erwachsen wird. Ich mache das jetzt sechs Jahre, also habe ich hier ein Schulkind. Die Ansprüche wachsen und Erziehung hört wohl nie auf.

Saskia: Dann freu dich schon mal auf die Pubertät! Apropos Erziehung. Du bildest ja auch Trainer aus. Wie weit ist dein Konzept denn schon verbreitet?

Sonja: Also abgesehen von unterschiedlichen Standorten in Deutschland gibt es Flying Pilates auch in Paris, Tel Aviv und in Polen. So langsam werden wir international. Die Trainer können sich bei mir auf der Webseite listen lassen, wenn jetzt nämlich Leute interessiert sind am Konzept sind und nicht aus Hamburg kommen, können sie gucken wo es das noch überall gibt. Ich vergebe Lizenzen an diejenigen die meine Ausbildung gemacht haben und dann dürfen sie ihre Kurse so nennen, also den Namen „Flying Pilates“ benutzen und das gleiche Werbematerial und unser original Logo verwenden. So kann man sicher sein, dass nicht irgendwer irgendwas anbietet.

Saskia: Neben den Kursen kann man hier im Studio auch schöne T-Shirts kaufen. Am besten gefällt mir das „From another point of view“ Shirt mit der Schrift über Kopf. Hast du sonst noch Pläne für die Zukunft, die das Konzept „Flying Pilates“ erweitern?

Sonja: Ja, zwei mal im Jahr bringen wir eine neue kleine Fashion Range heraus. Die T-Shirts hier an der Wand sind aus unserer aktuellen Kollektion. Wir produzieren alles in Biobaumwolle oder aus recycelten Stoffen und haben dank einer Trainerin, die hier auch arbeitet, die Möglichkeit unsere Herstellung fair und ordentlich abzuwickeln. Ansonsten schwebt mir im Moment vor den Sport im Internet präsenter zu platzieren und Online-Kurse anzubieten. Das heißt ich würde ein paar kleine Teaser bei Youtube hochladen, damit alle sehen, dass die Qualität gut ist. Dann kann man die Kurse auch online buchen und sich bei uns ein Tuch bestellen. Genau das richtige für alle, die gerne mitmachen wollen, aber kein „Flying Pilates“ Studio in ihrer Nähe haben.

Saskia: Magst du für uns noch einmal zusammen fassen für wen „Flying Pilates“ im Alltag geeignet ist?

Sonja: Ehrlich gesagt für jeden. Das spannende ist, dass Pilates generell ja schon viele positive Auswirkungen auf den Körper hat. Im Tuch werden diese Benefits zusätzlich verstärkt und machen den Sport daher zu einer gesunden Alternative. Das Training kann in seiner Intensität für jeden individuell angepasst werden. Es ist natürlich bei einem vollen Kurs mit acht Leuten dann die Herausforderung auf alle zu achten, aber meistens klärt man wissenswertes vorher ab. Wenn jetzt jemand ganz lange keinen Sport gemacht hat oder gewisse körperliche Einschränkungen mitbringt, dann braucht derjenige natürlich etwas mehr Aufmerksamkeit, kann aber die Einheit meistens trotzdem bedenkenlos mitmachen. Grob gesagt ist „Flying Pilates“ gut für den Anfänger, der Kraft aufbauen will und auch für jemanden der Rückenprobleme, Bandscheiben- oder Nackenbeschwerden hat. Sowohl als Prävention sowie auch als Rehabilitation kann „Flying Pilates“ allgemein als gesundheitsfördernd angesehen werden. Und auch sportliche Personen können wir mit dem Tuch immer wieder neu herausfordern, da das Training mit dem eigenen Körpergewicht ganz neue Reize setzt. So langsam merken das auch die Männer. Hinzu kommt der Spaß-Faktor. Man hat während des Trainings garnicht das Gefühl beim Sport zu sein, anders als vielleicht im Fitnessstudio. Durch die Konzentration und den Balance-Akt im Tuch ist man konstant beschäftigt und abgelenkt. Das Abschalten im Kopf fällt einem dadurch leicht und man findet einen tollen Ausgleich zu dem täglichen Wahnsinn zwischen überfüllten Emailpostfächern und ständiger Erreichbarkeit am Smartphone. Zwischen körperlicher Fitness, einem guten Gefühl und dem Muskelaufbau schult das Training auch ganz klar unseren Gleichgewichtssinn. So leicht und fliegend konnte man die Welt noch nie auf den Kopf stellen, im wahrsten Sinne des Wortes.

Webseite: https://www.flying-pilates.de/ 
Training via OneFit: https://onefit.de/de-de/locations-hamburg/flying-pilates/2289