THIS IS ART: MARTIN UND DER SILBERRAUSCH
Kunst wie Wolkenraten, Schmuckstück und Wertgegenstand zugleich. Martin Gremse trifft den Zeitgeist auf den Punkt, setzt ganz nebenbei neue Maßstäbe für Ästhetik und erschafft mit seiner individuellen Arbeit und Technik begehrenswerte Unikate.
All die faszinierenden Dinge zwischen Himmel und Erde, die der Mensch weder verstehen noch anfassen kann, machen das Leben erst so richtig spannend. Licht ist eines dieser Dinge. Wir können physikalische Erklärungen liefern und Berechnungen anstellen (zumindest gibt es irgendwo Menschen unter uns die das können) aber im Grunde verstehen wir das gesamte Phänomen nicht so wirklich – weil wir es nicht greifen können.
Die Bilder von Martin Gremse spielen mit dem Licht. Werfen es herum, reflektieren Wetterfühligkeit und Temperaturschwankungen. Dabei verändert sich ihr Ausdruck und insbesondere die Farbigkeit der Gemälde. Genau wie für das Licht selbst, ist auch für die optische Veränderung der Bilder keine Zauberei verantwortlich, sondern eine einzigartige Technik, chemische Prozesse und Wissenschaft, mit der Martin Gremse seine Bilder berarbeitet. Jedes seiner Werke ist mit dem Edelmetall Silber überzogen und sorgt für Spiegelungen und Lichtreflexion.
Diese Besonderheit macht jedes der Kunstwerke zu einem begehrenswerten Schatz, auf den man sich wie eine Elster stürzen möchte, um sich die glitzernde Schönheit zu eigen zu machen. Der junge Künstler präsentiert in seiner ersten Einzelaustellung in Hamburg, was er die letzten drei Jahre in seinem Atelier in Goslar produziert hat: Nämlich großformatige Unikate auf verschiedenen Gründen, wie Leinwand, Stahl, keramischer Oberfläche und Nylongewebe, die von multimaterieller Überlagerung geprägt sind. Mehrere Schichten von Farbclashes, Verläufen und meist komplementärer Tonalität bilden den Untergrund und Schichten, die durch die Silber-Veredelung teilweise versteckt werden. Der Name seiner Austellung „Covered“ beschreibt treffend, dass es sich um ein Versteckspiel handelt, denn die verborgenen und nur teilweise sichtbaren Farben hätten wohl ohne ihre imposante Silber-Hülle eine ganz andere Aussage.
„Die Malerei der Untergründe, die erfolglos versucht wahllos und willkürlich zu sein, verschwindet während des Prozesses vollständig hinter einer Schicht aus Silber. Dann, durch Mithilfe einer Projektion des ursprünglichen Gemäldes auf die spiegelnde Oberfläche und durch einen chemischen Prozess wieder sichtbar gemacht, entscheidet sie sich und wird zum Statement der Projektion ihres eigenen Ursprungs, zum Mittelpunkt der Betrachtung des Rezipienten, der sich unwillkürlich fragen muss was unter der restlichen Silberschicht verborgen ist die spiegelnd die aktuelle Interaktion erfasst.“
Während Martin Gremse durch die 1000 qm2 Ausstellungsfläche im Hanseforum, Axelspringer Platz 3, geht und die letzten Vorbereitungen für die anstehende Vernissage mit seinem Team bespricht, erklärt er uns mit professioneller Gelassenheit die Motivation und Beweggründe seiner Kunst. Die scheinbar zufällige Dynamik und Spontaneität seiner Werke ist auf wissenschaftliche Experimente, technisches Wissen und jahrelange Forschungsarbeiten zurückzuführen. Dabei haben Übersinnlichkeit und Spiritualität wenig mit seiner Bildkommunikation zu tun.
Der Entstehungsprozess, durch Farbverläufe und die Wirkung der Schwerkraft wird durch das Edelmetall versteckt, in seinen Arbeiten erneut freigelegt und gewinnt trotz zweidimensionaler Darstellung an Tiefe und Plastizität. „Kunst ist die Erfassung des geistigen Raumes des Betrachters. Ich erforsche mit meinen Werken die gemeinsamen Muster von Spiegelung, Fotografie, Malerei. Kunst ist ja wie Forschung. Der Künstler und der Forscher finden ein Thema und bearbeiten dieses. Ich bearbeite seit 15 Jahren das Thema der Spiegelung und der Verzerrung beim Betrachter durch Betrachtung des Werkes. Kunst entsteht, wenn der Künstler arbeitet und Kunst entsteht während der Betrachtung des Werkes. Wenn bei der Betrachtung ein Filter wie zum Beispiel Wertung die Betrachtung beeinträchtigt, dann wird die Kunst um etwas verändert, beschnitten.“ Das Betrachten und Werten ist für Martin Gremse ein wesentlicher Bestandteil seiner Arbeit, denn durch die Spiegelungen im Silber wird nicht nur die Umgebung und das Licht immer wieder neu in das Bild einbezogen, sondern auch der Betrachtende selbst.
Hier entsteht eine dynamische Seherfahrung, die den Einflussbereich des Künstlers überschreitet und uns quasi zur Bewegung anreizt. Vor dem scheinbaren „Spiegel-Bild“ kann man nicht stillstehen, man muss hin und her wandern, näher ran gehen, die Perspektive wechseln und betrachten, wie sich sogar die Farben mit dem Blickwinkel verändern. Es reicht nicht, nur einmal das Werk anzusehen. Man versteht es nie so ganz und entdeckt in jeder Ecke neue Formen und Farben. Im Dialog mit Martin Gremse wird deutlich, dass Menschen immer andere Assoziationen und Merkmale in seinen Bildern wahrnehmen. Interessant, denn so gerät man während der Betrachtung in einen aktiven Prozess des Suchens, Ratens und Hinterfragens, welche Motive man zu erkennen glaubt.
Der naturwissenschaftliche Schaffensprozess, dem der Künstler in seinen Arbeiten nachgeht, lässt sich auf sein Medizinstudium und das persönliche Interesse an Wissenschaft zurückführen. Eine der Bildserien zeigt bedruckte Glasplatten, die Teile eines Sagittalschnittes zeigen. Auch die Werkreihe „Plasmide“, bei denen die Ringform eines DNA Moleküls das zentrale Thema der Abbildung ist, sind hinterbliebene Spuren aus der Medizin. Martin Gremse hat mit dem Medizinstudium seinen Wissensdurst gestillt und sich Anregungen für seine Kunst beschafft.
Für die Silber-Beschichtung der Bilder sind chemische Prozesse erforderlich, die ohne Gasmaske und professionelle Luftmaschine undenkbar und sogar lebensgefährlich sind. Doch das sich das Risiko lohnt sieht man auf den ersten Blick. Die Resonanz aus der Kunstszene und die Käufermotivation sprechen für sich: Wir können es fühlen – Intuition, Stilsicherheit und Geschmack sind sich einig: A new (silver) Star is born!
Text: Saskia Weigel