RENTNERBEIGE UND ANDERE GRAUTÖNE

Fragen des Lebens: Welche Farbe hat Gleichgültigkeit? Kann Monotonie Liebe sein? Und sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?


Inspirierend, diese nachmittäglichen Gespräche zu Kaffee und Kuchen. Natürlich nicht die, die man selbst führt, sondern die Unterhaltungen der Nachbartische. Eine namenlose Bäckerei in Wandsbek-Gartenstadt bietet mir, bei graunasser Wettersituation, spontan Unterschlupf. Ich komme selten in den Genuss alleine in einem Café zu sitzen, also lehne ich mich zurück und lasse mich verzaubern, von einer atemberaubenden, krückstöckigen Show der Generation Hacken-Porsche. Die Protagonisten dieser wahren Begebenheit heißen Karl-Heinz, Johann-Walter, Frida, Irmgard und Linda. Die Namen sind allerdings frei erfunden.

Es hat etwas Beruhigendes, wenn sich alte Leute emotional über die Jugend von heute aufregen. Natürlich nur, solange man sich mit der Jugend von heute identifizieren kann. Es fühlt sich an, wie eine Liebeserklärung an mein noch so junges und modernes Leben. Umgeben von Unverständnis, vertrete ich also stillschweigend Generation Praktikum, Maybe und X,Y,Z gleichzeitig. Das Gute: Meine Ohren sind besser als ihre. Heißt: Ich verstehe auch den „Flüsterton“ der anwesenden Rentner bestens.

Thema des Tages: die Jugend von heute.

Karl-Heinz, ursprünglich allein an einem Tisch sitzend, wechselt den Platz zu Johann-Walter, damit dieser nicht unentwegt „Wieee bidde? Ich versteh Sie so schlecht…“ sagen muss. Johann-Walter gegenüber kann er sich in aller Monologie darüber auslassen, dass heutzutage keiner mehr miteinander spricht. „Neulich im Bus nach Berlin, da wollte doch tatsächlich mein Sitznachbar während der gesamten Fahrt nicht mit mir sprechen. Die Menschheit ist nicht mehr in der Lage Gespräche zu führen, finden Sie nicht? Früher, da hat man sich noch unterhalten, anstatt in sein Smartphone zu starren…“

Johann-Walter nickt den Ansichten seines neu gewonnenen Bekannten zu, grummelt etwas Zustimmendes und lässt sich in den nächsten Wortschwall hinein ziehen. Karl-Heinz ist die Meinung seines Gegenübers im Grunde egal. Ihm geht es primär darum die Eigene loszuwerden. Wieder und wieder.

Wann hören Menschen auf zu merken, wenn sie anderen mit ihren Ansichten auf die Nerven gehen? Haben solche Personen ein Empathie-Chromosom zu wenig? Oder haben sie nie gelernt, wie ein gesundes Gespräch aufgeteilt wird? Wird man pro Lebensjahr und Erfahrung einfach ignoranter? Ich kann bloß hoffen, niemals so gleichgültig den Ohrmuscheln anderer Leute gegenüber zu sein.

Ein Generationskonflikt schmeckt am besten zur Donauwelle.

Drei Damen treffen sich zu Kaffee und Kuchen, plaudern über das regnerische Wetter, ihre desinteressierten Männer, die verzogenen Enkelkinder und natürlich die allgemein verkommene Jugend von heute.

„Ich finde es sehr bedenklich, dass alle nur noch in ihre Handys starren. Die jungen Leute machen nicht mal mehr Platz in der U-Bahn, weil sie überhaupt nichts von ihrer Umgebung mitbekommen! Das ist respektlos und absolut nicht förderlich für den sozialen Umgang.“

Ja liebe Irmgard, ich finde das auch bedenklich. Und trotzdem ist niemand frei davon. Wir starren alle in ein Smartphone, in dem die Welt perfekt erscheint. Hier leuchten uns bunte Farben, blaue Meere, rosa Sonnenuntergänge und strahlende Gesichter entgegen, während in der U-Bahn nur du in rentnerbeigen Klamotten sitzt und darauf wartest, mir ein Ohr abzukauen. Über das regnerische Wetter, deinen desinteressierten Mann, deine verzogenen Enkelkinder und natürlich die allgemein verkommene Jugend von heute. Wir aktualisieren lieber unsere Startseite, erwarten eine neue amüsante, inspirierende oder schockierende Meldung, die uns von der grauen Tristesse im U-Bahn Abteil ablenkt.

Wenn man es romantisieren möchte, dann sind wir Eskapisten – Realitätsflüchtlinge, die in der Traumwelt um Asyl bitten.

Mal ehrlich: War den früher wirklich alles besser, gnädige Frau? Vielleicht wart ihr höflicher, kommunikativer, geselliger und leistungsorientierter. Aber wart ihr auch so ehrlich, offen und selbstbestimmt wie wir? Konntet ihr machen was und wann ihr es wolltet? Die Medaille der errungenen Freiheit hat eben zwei Seiten. Vergesst bitte nicht, dass ihr es wart, die uns diesen Weg frei gemacht haben, die den Fortschritt herbei gesehnt haben.

Deine Vergangenheit ist wie ein Bluna-Werbespot.

Ein bisschen zu bunt, irgendwie irre und zusammenhangslos. Trotzdem erinnert man sich gerne daran zurück, wie wir als Werbeopfer die Frage „Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?“ wiederholt in unseren Alltag integrierten. Der Spruch passt immer und sagt doch nichts. Aber früher war Werbung halt noch cool. Früher hatten die Firmen noch bessere Ideen. Bla bla… Ein Produkt wird vom Markt genommen, alle schreien auf! Man will natürlich immer das, was man nicht hat. Wie anstrengend.

Jetzt, wo Bluna schon lange nicht mehr auf dem Radar ist, denkt man nostalgisch an die tolle Zeit zurück, in der wir alle ein bisschen Bluna waren. Die Verklärung der Vergangenheit ist ein typisches Phänomen unseres Gehirns. Man hat vorrangig rosarote Erinnerungen an das, was lange zurück liegt. Selbstschutz, diese Lüge. Und mal im Ernst: wer trinkt überhaupt Orangenlimonade?

 

Ein sehr amüsanter Ansatz die Realität abzubilden, wird übrigens auf dem Instagram Kanal Rentnerbeige verfolgt. Ich mag die pure und unverblümte Ästhetik der Bilder, die eine Abwechslung zu den häufig so perfektionierten Fotos darstellt. So schön wie in der VSCO-Welt, ist nämlich im echten Leben keiner von uns…



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