SOBER CURIOUS: WER BIN ICH OHNE ALKOHOL?

„Nüchtern bin ich so schüchtern, doch voll bin ich toll“ und andere selbstzerstörerische Glaubenssätze möchte ich hinterfragen. Warum müssen wir dauernd Alkohol trinken und was hat das für Folgen? Ein ernüchternder Versuch…

Wer nicht trinkt hat keine Freunde. Nicht, weil man nüchtern eine ungesellige und langweilige Person ist. Nein, vielmehr machen einen die trinkenden Freunde zum Aussätzigen. Tja und weil alle trinken, ist man eben allein mit sich und seinem klaren Kopf. 

Ich habe Durst

Durst nach Zugehörigkeit, Anerkennung, Gleichgesinnung, Gespräch und Austausch. Durst nach mehr, Durst nach Abenteuer, Durst nach Spaß. Es dürstet mich nach Tiefgang. Doch stattdessen folgt jedes mal ein Tiefpunkt, wenn ich zu tief ins Glas geschaut habe. 

Was sich zunächst euphorisierend, enthemmend, frei und lustig anfühlt, kann schnell zu Kontroll-, Sprach- und Sinnverlust führen. Wer mal nüchtern auf einer Party war, weiß, dass nach drei Uhr Morgens nichts gutes mehr passiert. Zumindest habe ich die Erfahrung mehrfach gemacht. Betrunkene Menschen werden ab einem Gewissen Pegel einfach nicht besser, sondern schlechter. Mich selbst eingeschlossen. Das Problem ist nur, dass man es nicht merkt und im Zweifel am nächsten Tag sogar vergessen hat. 

Genau so ist es mit dem Körper. Der kann sich anfangs noch gut und schnell von ausschweifenden Alkoholeskapaden erholen. Doch wird der Konsum zum Dauerrausch (schon ein Glas Wein am Tag zählt Konsumenten zur Risikogruppe) können gesundheitliche Schäden und Abhängigkeit die Folgen sein.

10 Millionen Deutsche trinken zu viel

Die Erkenntnis, dass regelmäßiger Alkoholkonsum ist selbstverständlicher Bestandteil von allen erdenklichen Feierlichkeiten. Beinahe ernüchternd, wie sehr diese Substanz zum sozialen Alltag gehört. Im wahrsten Sinne des Wortes, schließlich stellt man Alkohol nur dann in Frage, wenn er nicht konsumiert wird. Im Moment des Rausches gibt es nur eine Devise und die lautet: Gib mir mehr! Da ich schon seit vielen Jahren kritisch auf (meinen) Alkoholkonsum schaue, fällt es mir immer leichter davon abzulassen. Insbesondere nach längeren Enthaltsamkeits Phasen (Dry January, Schwangerschaft und Stillzeit) merkt man, wie krass das erste Bier oder Glas Cremant zu Kopf steigt. Die Duseligkeit ist nach längerer Alkoholpause für mich dann total unangenehm und ich muss mich dann tatsächlich trainieren, dass mir Alkohol wieder schmeckt. Wie schwachsinnig?

Der Mensch besteht zu 70% aus Wasser. Wir brauchen Flüssigkeit. Soviel ist klar. Nur sind alkoholische Getränke eher kontraproduktiv für unseren Organismus. Und zwar viel schädlicher als man annimmt. Das Nervengift schädigt den Körper schleichend und oft schmerzlos. Das liegt daran, dass hauptsächlich die Leber vom Konsum beeinträchtigt wird. Und die hält bis zum allerletzten Schluck stand und verursacht selbst im schwächsten Zustand keine Schmerzen.

Lebensqual- oder qualität?

Leberzirrhose tut nicht weh. Diese Krankheit wird oft nur diagnostiziert, weil die Betroffenen mit anderen Symptomen (gelbe Augen und dicker Bauch) zum Arzt gehen. Aber nicht nur die Leber wird durch Alkohol in Mitleidenschaft gezogen. Auch Hepatitis und die Entzündung der Bauchspeicheldrüse können direkte Folgen des Trinkens sein, ebenso wie Diabetes, Schuppenflechte, Bluthochdruck und Schlaganfälle. Außerdem wird übermäßiger Alkoholkonsum als direkter Auslöser für Krebs in der Bauchspeicheldrüse, im Mund-, Rachen- und Brustraum identifiziert. In der alternativ Medizin geht man davon aus, dass  Soviel zu den verheerenden körperlichen Schädigungen, die der Durst nach dem Zellgift haben kann. 

Klarer Geist, statt klarem Schnaps

Nicht nur körperlich, auch mentale Folgen können auf den regelmäßigen Alkoholkonsum zurückgeführt werden. Bereits geringer bis mäßiger Konsum kann das emotionale Gleichgewicht stören, Schlafqualität mindern und die Anfälligkeit für Angststörungen oder depressive Verstimmungen erhöhen. Alkohol beeinflusst die Neurotransmitter im Gehirn – insbesondere Serotonin und Dopamin – und kann dadurch kurzfristig entspannend oder stimmungsaufhellend wirken. Langfristig entsteht jedoch häufig ein Ungleichgewicht, das zu innerer Leere, Reizbarkeit und sogar zu chronischer Depression führen kann. Zudem verringert regelmäßiger Konsum die kognitive Leistungsfähigkeit: Konzentration, Urteilsvermögen und Gedächtnis leiden. Wer sich für einen klaren Geist entscheidet, entscheidet sich also nicht nur gegen den Rausch, sondern für mehr emotionale Stabilität, geistige Klarheit und innere Stärke.

Hanseatische Alternativen

Nicht für alle ist es leicht, sich dem sozialen Druck zu entziehen. Nur Wasser ist auch langweilig. Alkoholfreie Alternativen gibt es inzwischen immer mehr. In Hamburg beispielsweise hat die COLLAB Bar auf St. Pauli im Sommer 2023 ihre Türen geöffnet und bietet eine Vielzahl alkoholfreier Signature Drinks an, die in ansprechender Optik serviert werden. Ein weiteres Highlight ist die Puzzle Bar in der HafenCity, die mit kreativen alkoholfreien Cocktails und einem atemberaubenden Ausblick überzeugt. Für den Genuss zu Hause bietet der „nüchtern“ Kiosk im Karoviertel über 200 alkoholfreie Getränke an, von Weinen über Sekt bis hin zu Spirituosen-Alternativen. Ein besonderes Augenmerk verdient auch das Buch „Berauscht vom Leben“ von Jardine Libaire und Amanda Eyre Ward, das die Freiheit thematisiert, nicht zu trinken, und dabei tiefgründige Einblicke in die eigene Wahrnehmung und Gesellschaft gibt. Für Bierliebhaber bietet das Ratsherrn Alkoholfrei eine geschmackvolle Alternative, die den vollen Biergenuss ohne Rausch ermöglicht. 

Gesund, aber einsam

Ich verurteile Alkohol nicht nur auf einer rationalen Ebene – es ist eher ein tief verankerter Widerstand, der sich seit Jahren in mir hält. Mir fällt es nicht schwer, nicht zu trinken. Ich vermisse nichts. Und doch ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich es dann eben doch tue. Nicht für den Geschmack, nicht für den Rausch – sondern, weil ich dazugehören will. Weil ich das Gefühl kenne, die einzige Nüchterne zu sein, während um mich herum Gespräche in Floskeln zerfallen und alle sich ein Stück weiter voneinander entfernen, aber gleichzeitig näher rücken – durch ein Glas. Es fühlt sich paradox an: Ich will klar bleiben, aber nicht allein sein. Und manchmal verliere ich dann doch wieder den Mut, einfach bei mir zu bleiben. Nicht aus Schwäche, sondern aus dem Wunsch, nicht außen vor zu sein.

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